ROBIN HOOD - EIN LEBEN FÜR RICHARD LÖWENHERZ
Ein Mann rennt gehetzt durch den morgendlichen Wald, bleibt an Büschen und Sträuchern hängen, strauchelt, stürzt in den Dreck. Die Pferde der Verfolger schnauben widerwillig unter der Last ihrer gepanzerten Reiter, ihre Nüstern beben, kondensierter Atem von Mensch und Tier erfüllt die kalte, nebelverhangene Luft. Nach kurzer Jagd ist der Flüchtende gestellt: ein Häufchen Elend, frierend und angsterfüllt, mit Schlamm besudelt.
Bereits in dieser Eingangssequenz wird deutlich, daß Regisseur John Irvin (GHOST STORY, RAW DEAL) keine Hochglanzverfilmung der Robin Hood-Geschichte im Sinn hatte, sondern vielmehr auf eine realistische Darstellung der Lebensumstände des ausgehenden 12. Jahrhunderts Wert legte. Die "Straßen" in den Dörfern versinken im Morast, überall haust Feuchtigkeit und Kälte. Die Hütten der Menschen sind roh, ihre Kleidung ist abgenutzt und schmutzig. Die Wegelagerer und Diebe, denen sich Robin später anschließt, leben nicht wie in früheren Verfilmungen in den Bäumen des Sherwood Forrest, sondern in einer ungemütlichen, dunklen Höhle. Nicht Freundschaft oder hehre Ziele schließen sie zusammen, sondern die pure Notwendigkeit, denn nur gemeinsam ist der tägliche Kampf ums Überleben zu meistern. Es ist ein eingeschworener Kreis, in den nur derjenige aufgenommen wird, der eine besondere Fähigkeit aufweisen kann, die der Gemeinschaft nützt. In Robins Fall ist es seine unerhörte Bogenschießkunst.
Die überlegte Kameraarbeit - alle Aufnahmen werden mit trüben, entsättigten und blaustichigen Farben verfremdet - unterstützt dabei die Präsentation eines Zeitalters der Rohheit und Gewalt, des Schmutzes und der Armut und des Lebens am Existenzminimum. Die gut ausgewählten Schauplätze und die (trotz aller Schlichtheit) hervorragenden, mit Blick fürs Detail entworfenen Kostüme runden diesen Eindruck ab.
Selbst der altbekannten Geschichte um Robin, die "Merry Men" und Maid Marian kann Irvin noch ein paar neue Gesichtspunkte abgewinnen, obwohl diese später nicht konsequent genug ausgearbeitet werden, sondern zugunsten einer eher konventionellen Erzählweise in den Hintergrund rücken.
So ist der angelsächsische Robert Hode, Earl of Huntingdon, zunächst ein Opfer bestimmter politischer und gesellschaftlicher Umstände und weniger der strahlende, edle Rächer der Armen und Unterdrückten, zu dem er später (wie in anderen Verfilmungen) gemacht wurde. Da er den eingangs erwähnten gestellten Wilderer vor dem Normannen Sir Miles Folcanet in Schutz nimmt - die Normannen beherrschen zu dieser Zeit England - wird er von Sir Robert Daguerre zu einem öffentlichen Peitschenhieb verurteilt und später für vogelfrei erklärt. Sich nun Robin Hood nennend, nimmt er zusammen mit den übrigen Geächteten jede Gelegenheit wahr, den verhaßten Folcanet zu piesacken und zu demütigen. Dieser fordert daraufhin von Daguerre mehr Männer, um Robin das Handwerk zu legen.
Jürgen Prochnow (THE SEVENTH SIGN, THE KEEP, DUNE) als Folcanet und Jeroen Krabbé (THE FOURTH MAN) als Daguerre mühen sich redlich, ihren Figuren Konturen zu verleihen und höchst unterschiedliche innere Konflikte deutlich zu machen: Sir Miles Folcanet, in seiner Ehre gekränkt, versucht seine sexuelle Impotenz und den Verlust Marians an Robin durch gesteigerten Waffengebrauch und Brutalität wettzumachen. Baron Daguerre ist hin- und hergerissen zwischen seiner einstigen Freundschaft zu Robin und seiner Pflicht, den Gesetzlosen das Handwerk zu legen. Beide sind also keine eindimensionalen Bösewichte, sondern Charaktere mit Ecken und Kanten, deren Leinwandpräsenz dadurch umso überzeugender wird. Gerade diese aber fehlt Patrick Bergin als Robin Hood. Er spielt zwar gelöst und mit dem sprichwörtlichen Augenzwinkern, doch der Funke will einfach nicht überspringen. Uma Thurmans (ADVENTURES OF BARON MUNCHHAUSEN) Figur der Maid Marian verschwindet dabei fast hinter den Männerkonflikten, obwohl auch sie die Möglichkeit bekommt, sich zu entfalten. Als Junge verkleidet schleicht sie sich in Robins Bande und gibt sich gerade rechtzeitig zu erkennen, bevor Robin in eine raffinierte Falle Folcanets tappt.
Die Geschichte wäre natürlich nicht vollständig, wenn der Bösewicht Folcanet nicht bei einem verwegenen Schwertkampf mit Robin sein Leben lassen würde und Robin und Marian sich ineinander verlieben. Zum Zeichen einer besseren Zukunft erblüht bei ihrer Hochzeit eine mächtige alte Eiche...
Trotz guter Schauspielerleistungen und einigen neuen Ansätzen bleibt diese Robin Hood-Verfilmung letztendlich doch nur ein mittelprächtiges Kinovergnügen. Gerade richtig, um die Zeit bis zu Kevin Reynolds Version mit Kevin Costner in der Hauptrolle zu überbrücken, die mit weitaus größerem finanziellen und technischen Aufwand in Szene gesetzt wurde.
Anzumerken bleibt, daß John Irvins Film zunächst mit Mel Gibson in der Titelrolle und John McTiernan (PREDATOR, DIE HARD) als Regisseur ebenfalls für das US-Kino geplant war, aber im Zuge vermehrt angekündigter Verfilmungen desselben Stoffes zu Fernsehware degradiert wurde. Im amerikanischen TV lief der Film als etwa 150-minütige Fassung, während er im Ausland als etwa 110-minütige Kinofassung gezeigt wird. McTiernan blieb der Produktion dennoch zumindest als ausführender Produzent erhalten, und wer Mel Gibson mal mit Schwert und in mittelalterlicher Umgebung erleben möchte, sollte sich HAMLET von Franco Zeffirelli ansehen.
Bewertung: 7 Punkte
- ROBIN HOOD
- USA/GB 1991
- Regie: John Irvin
- Produktion: Sarah Radclyffe, Tim Bevan
- Drehbuch: Mark Allen Smith, John McGrath
- Kamera: Jason Lehel
- Musik: Geoffrey Burgon
- Darsteller: Patrick Bergin, Uma Thurman, Jürgen Prochnow, Jeroen Krabbé, Edward Fox, Owen Teale
- FSK:12
- 110 Minuten
- Twentieth Century Fox
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