Rainer Erler

"Wir sind so unwichtig wie die Kakerlaken hinter der Heizung.

Interview mit Autor, Regisseur und Produzent Rainer Erler

von Markus Janda

Rainer Erler, der im August 1933 in München zur Welt kam, hatte schon als Pennäler eine klare Vorstellung davon, was er nach der Schule machen wollte - nämlich Filme produzieren. Als Mitarbeiter diverser Filmclubzeitungen besuchte er regelmäßig die Bavaria-Filmstudios, um Neuigkeiten aufzuschnappen und Interviews zu führen. Dabei lernte er den Regisseur Rudolf Jugert kennen, der sich darüber wunderte, daß der eifrige Jungredakteur, der zu jener Zeit die Abiturprüfung vor Augen hatte, scheinbar nichts für die Schule zu lernen brauchte. Der junge Rainer Erler erklärte ihm daraufhin, daß er sich bereits ausgerechnet habe, daß er nicht durchfallen könne und ihm die Schule ohnehin schnuppe sei. Viel lieber würde er bei der Bavaria als Lehrling anfangen. "Darauf hat mich Jugert mit Erich Pommer (Produzent von METROPOLIS, Begründer der UFA - Anm. d. Verf.) bekannt gemacht und ich bekam meinen ersten Job als Regie-Volontär für 20,- Mark in der Woche", erinnert sich Erler.

In den 60er Jahren produzierte der zum Regisseur gereifte und mit Filmpreisen überhäufte Erler seinen ersten Science Fiction-Film DIE DELEGATION, eine Pseudo-Dokumentation über das Schick-sal eines Fernsehreporters, der bei den Recherchen für einen Film über UFOs unter mysteriösen Umständen ums Leben kam. Obwohl Rainer Erler sich in der Folgezeit nicht auf das SF-Genre festlegte und mit Filmen wie der Sekten-Satire EIN GURU KOMMT oder dem Atommüll-Thriller DAS SCHÖNE ENDE DIESER WELT seine Vielseitigkeit unter Beweis stellte, wandte er sich doch auch immer wieder utopischen Stoffen zu - wobei angemerkt werden muß, daß selbst ein Film wie FLEISCH, dessen Inhalt (Handel mit gewaltsam beschafften, menschlichen Organen) heute längst traurige Realität ist, bei seiner Fernseherstausstrahlung Ende der 70er Jahre noch pure Filmphantasie war. U.a. drehte er für die Bavaria unter dem Titel DAS BLAUE PALAIS eine Reihe sogenannter "Science Thriller", in denen eine Gruppe von Wissenschaftlern in ihrem Forschungslabor allerlei phantastische Entdeckungen macht.

1972 verließ Erler nach über zwölfjähriger Tätigkeit als Autor, Regisseur und Produzent die Bavaria Atelier GmbH, um seine eigene Produktionsfirma, die Pentagramma-Filmproduktion, zu gründen, unter derem Banner bislang zwölf Filme entstanden, darunter der mit Jürgen Prochnow, Dieter Laser, Claus Theo Gärtner, Horst Frank und Uwe Friedrichsen hochkarätig besetzte, tricktechnisch überzeugende und thematisch faszinierende SF-Film OPERATION GANYMED, der die Geschichte von fünf Astronauten erzählt, die nach einem Flug zum Jupiter auf eine völlig verwüstete Erde zurückkehren und herauszufinden versuchen, was während ihrer Abwesenheit geschehen ist oder die Komödie ZUCKER, in der Erler vorführt, was passiert, wenn genmanipulierte Mikroben, die alles Papier in Zucker verwandeln, aus ihrer Petrie-Schale entweichen. Rainer Erler war als Gründungsmitglied viele Jahre im Vorstand des Bundesverbandes der Fernseh- und Filmregisseure, ist engagiertes Mitglied von Greenpeace und der Australian Conservation Foundation, der Deutschen-Energie-Gesellschaft und der Gesellschaft für Sonnenenergie.

Er unterrichtete fünf Jahre lang an der Hochschule für Film und Fernsehen in München und war Mitglied der Internationalen Jury der Oberhausener Kurzfilmtage und des Fernsehfestivals von Monte Carlo. 1984 wurde Rainer Erler von der European Science Fiction Society als "Best European Science Fiction Screenwriter" ausgezeichnet.

 

Herr Erler, Sie sind nicht nur Filmregisseur, sondern auch Schriftsteller. Zu jedem Ihrer Filme haben Sie einen Roman veröffentlicht. Worin besteht denn für Sie der Reiz, einen Film nochmals in Roman-Form nachzuerzählen?

Der Reiz besteht für mich darin, daß sich Roman und Film in ihren Ausdrucksmöglichkeiten stark voneinander unterscheiden. In einem Film können Sie nur das Sichtbare, die Action, zeigen. Psychologische Hintergründe lassen sich dagegen filmisch nur schwer darstellen. Die kann man dafür im Roman sehr gut beschreiben. Dazu kommt, daß ich oft noch eine Fülle an biographischen Daten zu den Figuren, an Gedankenspiele, an Fakten, usw. im Kopf habe, die ich im Film nicht unterbringen kann, für die ich aber im Roman genügend Platz habe.

Würden Sie also dem Filmbetrachter raten, ergänzend zum Film den jeweiligen Roman zu lesen, damit er einen umfassenderen Eindruck von Ihrem Werk bekommt?

Als Autor habe ich es natürlich schon gerne, wenn meine Romane gelesen werden, auch von denen, die schon den dazugehörigen Film gesehen haben. Ich rate meinen Freunden aber jedesmal, den Roman erst zu lesen, nachdem sie den Film gesehen haben. Denn wenn' s umgekehrt ist, machen sie sich beim Lesen ihr eigenes Bild, sehen dann den Film und befinden sich prompt in einem Zwiespalt zwischen der eigenen Imagination und dem, was da plötzlich vorgegeben ist als fotografiertes Bild. Das führt dann dazu, daß die sie sagen: "Der Roman war besser." Das ist natürlich ein grundsätzlicher Irrtum. Das eine ist nicht besser als das andere. Roman und Film kann man ja eigentlich nicht miteinander vergleichen.

Sie haben Anfang der 70er Jahre die TV-Serie DAS BLAUE PALAIS gedreht - eine Science Fiction-Serie...

Der erste Science Fiction-Film, den ich gedreht habe, war DIE DELEGATION. Das war, wenn man so will, ein Film über UFOs - was zum damaligen Zeitpunkt, so Mitte der 60er Jahre, absolut neu war. Es gab zwar einige Bücher über dieses Thema, auch der Fall Roswell war schon bekannt, trotzdem waren UFOs damals nur den Insidern ein Begriff. Erst, als der Film schon in Produktion war, kam Erich von Däniken und machte die UFOs populär. Mein Film war sehr erfolgreich, bekam viele Preise und dann kam erst, ein paar Jahre später, DAS BLAUE PALAIS.

DAS BLAUE PALAIS soll ja von einem Bericht des "Club of Rome" inspiriert worden sein. Was war das für ein Bericht?

Nun, der "Club of Rome" war eine Vereinigung von Wissenschaftlern, die gesagt haben: "Der Mensch plündert die Ressourcen." und die sich gefragt haben: "Wie lange haben wir noch Erdöl? Wie lange haben wir noch Stahl? Wo führt das hin?" Das spielte ein bißchen in die Entstehung von DAS BLAUE PALAIS mit rein. Eine Folge handelte z.B. davon, daß ein Wissenschaftler einen synthetischen Stoff entdeckt, mit dem man Stahl ersetzen kann. In einer anderen Folge ging es um die Erzeugung von Antimaterie. Diese Geschichten waren ihrer Zeit voraus. Ich habe damals übrigens einen Begriff geprägt –"Science Thriller". Nicht "Science Fiction", sondern "Science Thriller". Das hat sich ein bißchen eingebürgert. Das ZDF, das die Serie sendete, hat den Begriff jedoch nicht übernommen. Der Intendant meinte, man solle nicht soviele englische Ausdrücke übernehmen in Deutschland. Also nannte er es "Wissenschaftliche Kriminalgeschichten" oder so ähnlich. Das war ein bißchen albern - ich fand "Science Thriller" eigentlich sehr griffig. Die Serie war übrigens ziemlich erfolgreich.

Kennen Sie eigentlich die Serie AKTE X?

Nein, die habe ich noch nicht gesehen.

Ich komme da jetzt drauf, weil Sie vorhin DIE DELEGATION erwähnt haben. Ich kenne zwar nur den Roman, aber als ich den gelesen habe, dachte ich spontan, daß das eine prima Vorlage für eine AKTE X-Folge wäre.

Dabei ist es fast 30 Jahre her, daß ich den geschrieben habe. Mir ging es damals darum den Leuten zu sagen, daß wir nicht allein im Kosmos sind. Wir sind viel zu arrogant und einfältig, wenn wir glauben, alles drehe sich nur um uns. Wir sind genauso unwichtig wie die Kakerlaken hinter der Heizung - kosmisch gesehen. Eben diese Arroganz wollte ich mit meinem Film und dem Roman zur Diskussion stellen. Heute ist die Ufologie ja schon zu einer regelrechten Massenpsychose geworden. Ich habe mittlerweile ein ganzes Regal voll mit Büchern, in denen von Außerirdischen berichtet wird, die unseren Planeten besuchen. Ich bezweifle das inzwischen. Die Götter sind immer wieder mal auf die Erde herabgestiegen, in allen Religionen. Jede Kultur macht sich ihre eigenen Götter und Dämonen, die das ewige Leben bringen, die Erlösung oder was auch immer. Und wenn die einen nicht mehr richtig funktionieren, dann machen wir uns halt neue.

Aber Sie denken schon, daß es da draußen noch jemanden außer uns gibt?

Das schon. Woran ich aber nach eingehender Recherche nicht mehr glaube, ist, daß sich irgendwelche Wesen auf lange Reisen machen, um festzustellen, daß wir hier noch sehr primitiv und aggressiv sind. Ich glaube auch nicht, daß 14 Millionen Amerikaner von Außerirdischen eingefangen, sexuell mißbraucht, untersucht und wieder laufengelassen worden sind. Das hat ein Kollege von mir mal in einem Film gebracht. Der ging nach Amerika und gab eine Zeitungsanzeige auf: "Wer wurde von Außerirdischen sexuell mißbraucht?" Binnen drei Tagen bekam er 1200 Antworten. Das ist reine Hysterie.

Mir ist in DIE DELEGATION ein Satz besonders aufgefallen, der da heißt "Ist Wahrheit nicht auch, was geschehen sein könnte?" Was meinen Sie damit?

Das kann ich Ihnen an einem ganz aktuellen Beispiel erklären: Gerade heute steht in der Zeitung, daß der Kindermord von Betlehem nur im Matthäus-Evangelium erwähnt wird. Wir tun aber so, als sei es völlig klar, daß König Herodes, dieses Schwein, damals alle Kinder hat umbringen lassen. So hat man es uns schließlich beigebracht. Dabei ist diese Geschichte überhaupt nicht erwiesen. Eine gruselige Vorstellung, daß man sein Wissen über die Welt nur aus zweiter Hand hat und womöglich eines Tages feststellen muß, daß alles, was man so sicher zu wissen glaubte, falsch ist. Manchmal kommt es auch vor, daß Sie tatsächlich etwas ganz genau wissen und in der Zeitung steht auf einmal etwas, was diesem Wissen widerspricht. In dem Moment haben Sie einen ganz schweren Stand, denn die von den Medien verbreitete Wahrheit ist die offizielle, da kommen Sie mit Ihrer persönlichen Erkenntnis nicht gegen an. Ich lebe ja, wie Sie wissen, die meiste Zeit in Australien. Da gibt es doch tatsächlich Leute, die behaupten, in Australien könne man mittags nicht aus dem Haus gehen wegen des Ozon-Loches. Dabei ist das Ozon-Loch über Australien nichts weiter als eine pure, infame Erfindung. Natürlich existiert das Ozon-Loch an den beiden Polen, keine Frage. Wenn aber die "Süddeutsche Zeitung" schreibt, daß die Nähe zum Südpol Australien zum Verhängnis wird und dann dieses Horror Szenario entwirft von den Kindern, die nicht mehr aus dem Haus dürfen und von Stränden, die entvölkert sind, dann ist das schlichtweg Blödsinn. Australien ist vom Südpol genauso weit entfernt wie Ägypten oder Israel vom Nordpol. Das ist ja schließlich ein tropisches Land. Ich habe mal recherchiert, wie diese Meldung vom Ozonloch über Australien zustande kam. Dabei bin ich auf einen alten Bekannten gestoßen: Hilmar Hoffmann, Begründer der Oberhausener Kurzfilmtage, ehemaliger Kulturdezernent der Stadt Frankfurt, jetzt Präsident der Goethe-Gesellschaft. Der war vor ein paar Jahren Chairman des Kommitees "Berlin: Olympia 2000". Berlin wollte ja damals unbedingt die Olympischen Spiele im Jahr 2000 ausrichten. Ich treffe also Hilmar Hoffmann in Frankfurt auf der Buchmesse, das war vor zwei, drei Jahren, und da meint er zu mir, daß er sehr guter Hoffnung sei, was die Olympiade angehe, man kämpfe jetzt nur noch gegen Peking, Sidney habe man mit der Ozonloch-Legende bereits aus dem Feld geschlagen. Ich habe später erfahren, daß sein Kommitee 1,4 Millionen Mark ausgegeben hat, um das Ozonloch vom Südpol nach Australien zu verlegen. Und die Leute haben es gefressen. Australien - das ist ja so weit weg, das wird schon stimmen.

Ist es für Sie angesichts der Themen, die Sie in Ihren Filmen aufgreifen, wie z.B. Organhandel, Genmanipulation oder der Diebstahl von Plutonium, nicht erschreckend festzustellen, daß all diese Dinge früher oder später tatsächlich passieren?

Ja, sicher. Man wird eingeholt von der Realität. Am erschreckendsten war das bei FLEISCH. Als der Film damals im Fernsehen gezeigt wurde, war es eine reine Horrorvision, daß Leute ausgeschlachtet werden für Organbanken und Millionäre, die dringend eine Niere brauchen. Später konnte man dann immer mehr Meldungen lesen, in denen stand, daß Organraub tatsächlich stattfindet.

Haben Sie seherische Fähigkeiten, oder wie kommt es, daß Sie solch prophetische Filme drehen?

Ich bin dasselbe schon mal in einer Talkshow gefragt worden, und damals habe ich gesagt: "Ich habe eine Kristallkugel. Aber wenn ich Ihnen erzähle, was ich darin sehe, werden Sie enttäuscht sein. Da steht immer nur ein einziges Wort: Habgier." Mit Habgier können Sie fast alles erklären: Kriege, Ausbeutung, Unterdrückung und eben auch so Geschichten wie Organraub.

Was hat Sie zu OPERATION GANYMED inspiriert?

Da waren es zwei Dinge. Einerseits mein Interesse an der Raumfahrt, die ich für sinnvoll halte, weil der Mensch immer wieder zu neuen Ufern aufbrechen muß. Früher war das Indien oder Australien, heute müssen wir halt ein bissl weiter weg. Andererseits das Psychogramm von Helden. Ich mag Helden, nicht Helden sind dumm und mißbrauchbar. Sie können sie für alles einsetzen. Die begeistern sich. Auf Knopfdruck gehen sie los. Im 1. Weltkrieg meldeten sich Hunderttausende von Australiern, um für die britische Kolonialmacht in den Kampf zu ziehen. 47% aller australischen und neuseeländischen Truppen sind damals gefallen, aber nur 14% der englischen. Eine clevere Strategie der Engländer, diese Völker für sich bluten zu lassen und an die vorderste Front zu stellen. In OPERATION GANYMED wollte ich dem klassischen Helden zu Leibe rücken und ihn als das zeigen, was er in Wahrheit ist, nämlich einer, der letztlich nur für irgendwelche blödsinnigen Ideen mißbraucht wird.

Aber ist ein Held nicht eher ein Individualist, der auf eigene Faust handelt, statt die Dinge zu tun, die andere von ihm verlangen?

Das sehen Sie sehr idealistisch. Das Heldenbild, das Sie vor Augen haben, wurde uns aus der Antike überliefert, stimmt aber letztlich nicht. Darum mache ich ja meine Filme, um hin und wieder die Perspektive ein wenig zurechtzurücken. Früher hatten wir in Deutschland einen Heldengedenktag, an dem ehrte man Leute, die für böse Ideen geopfert worden waren, die losziehen mußten und gar keine andere Wahl hatten, als Helden zu sein. Ich habe neulich in der Zeitung gelesen, daß in Neuseeland einer geehrt wurde, der von sich behauptet, im Krieg 24 Deutsche im Alleingang getötet zu haben. Der ist damals gefangen worden und kam in ein deutsches Gefangenenlager. Von dort ist er dreimal entwischt und dreimal haben sie ihn wieder eingefangen. Und der ist jetzt der "wohl berühmteste Held Neuseelands". Ich finde das peinlich. Aus diesem Land kommt der Bergsteiger, der als erstes den Mount Everest bezwungen hat, von dort kommt der erste Mensch, der zum Südpol marschiert ist, die Naturwissenschaftler dort haben Ungeheures geleistet, und ausgerechnet so einen, der auf idiotische Art und Weise sein Leben aufs Spiel gesetzt und auch noch Menschen umgebracht hat, lassen die heute hochleben. Daran sieht man, daß es immer wieder nötig ist, Filme zu drehen und Bücher zu schreiben, in denen man die Perspektive zurechtrückt

Jetzt frage ich mich aber doch, was Ihrer Helden-Definition zufolge ein Mann wie der Hitler-Attentäter Georg Elser ist, über den Sie ja auch mal einen Film gedreht haben?

Also, das ist jetzt eine Begriffsverwirrung. Ein Held ist Georg Elser nicht, denn das wollte er nie sein. Er wollte etwas tun, ohne Aufsehen zu erregen. Ein Held braucht dagegen immer die Öffentlichkeit. Elser hat sich eine Aufgabe gestellt und sich gesagt: "Wenn's kein anderer tut, ich tu's." Er tat es nicht aus Heldenhaftigkeit, sondern weil er sich dazu berufen fühlte. Darum ist er kein Held. Finde ich jedenfalls. Er hat nicht den Beifall gewollt, er wollte lediglich etwas unternehmen. Daß ihm sein Anschlag mißlungen ist, ist traurig, denn andernfalls hätte er den Heldentod von Millionen verhindert.

Sie siedeln Ihre Geschichten immer in der Gegenwart an. Könnten Sie sich vorstellen, einen Ihrer Filme auch mal im Jahr 2200 spielen zu lassen?

Das ist für mich ganz und gar nicht reizvoll. Von dieser Sekunde an, in der wir jetzt miteinander sprechen, spielt sich der Rest unseres Lebens in der Zukunft ab. Diese Zukunft interessiert mich, nicht das Jahr 2200. Ein Film, der in dieser Zeit spielt, kann nur auf Mutmaßungen und Spekulationen basieren. Das ist dann mehr ein Spektakel à la STAR WARS. Sowas ist hübsch anzusehen, geht mich aber nichts an. Mich geht an, was morgen und übermorgen mit uns geschieht.

Aber kann es nicht sein, daß Sie Ihre Themen, die ja durchaus futuristisch sind, zu nahe an unserer Realität ansiedeln, so daß der Zuschauer dadurch eher abgeschreckt wird, sich Ihre Filme anzuschauen? Wäre es nicht eleganter, etwas weiter in die Zukunft zu gehen und dem Publikum zu sagen: "Seht her, das und das wird passieren, aber nicht morgen, sondern erst in zehn Jahren."?

Diese Sorge mache ich mir nicht. Der Zuschauer ist ja grundsätzlich neugierig. Außerdem ist er verführbar. Wenn er eine spannende Geschichte vorgesetzt bekommt, dann sieht er sich das an, ganz egal, wie erschreckend das Thema auch sein mag. Ich habe natürlich schon Anrufe von erbosten Leuten bekommen, auch viele Briefe. Eine Frau wollte sogar mal das ZDF verklagen. Die hat gesagt, sie sei schwanger und habe den Film FLEISCH gesehen und nun habe sie seelische Probleme und wolle Schadenersatz. Dazu kann ich nur eines sagen: Es gibt den "Aus"-Knopf am Femseher. Man kann jederzeit abschalten. Aber die Leute schalten nicht ab, denn die Faszination, daß das mit uns geschehen könnte, ist größer als die Befürchtung, daß es wahr sein könnte. Es ist ja schließlich trotz allem immer noch eine Fiktion. Ich glaube nicht, daß sich der Zuschauer so wahnsinnig dafür interessiert, was im Jahr 2200 passiert. Das ist ja wie Oper. Das betrifft einen nicht.

Sind Ihre Filme eigentlich alle nur fürs Fernsehen entstanden? Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, daß mir jemals einer Ihrer Filme in einem Kinoprogramm, einer Kinozeitschrift oder einer Kinowerbung aufgefallen wäre.

Oh, da irren Sie sich. Viele meiner Filme waren von Anfang an fürs Kino gemacht, z.B. FLEISCH. FLEISCH lief in den Kinos von 127 Ländern. OPERATION GANYMED ist auch ein Kinofilm, ebenso DIE REISE IN EINE STRAHLENDE ZUKUNFT. Es ist nur so, daß wir immer überdurchschnittlich viel Geld von den Fernsehanstalten bekommen, mehr als die beispielsweise für die Ausstrahlungsrechte eines fertigen Kinofilms bezahlen müßten. Dafür wollen die dann aber halt das Recht der ersten Nacht. Aus dem Grund laufen selbst meine Kinofilme in Deutschland immer zuerst im Fernsehen. Daß die Filme danach im Kino nicht mehr besonders viel einspielen und deswegen gar nicht erst groß gestartet werden, ist klar. Einen Film wie FLEISCH können Sie heute aber trotzdem noch in manchen Programmkinos sehen.

Ihre Kollegen Wolfgang Petersen und Roland Emmerich sind nach ihren Erfolgen in Deutschland dem Ruf Hollywoods gefolgt und sorgen jetzt in den USA für Furore. Warum nicht auch Sie? Hat man Sie nicht haben wollen?

Doch, doch. Ich bin mal von der Columbia eingeladen worden, das ist aber schon viele Jahre her. Da saßen wir in Los Angeles zusammen und die meinten, daß sie mein Drehbuch gelesen haben und jetzt den und den dransetzen wollen, damit er es umschreibt. Darauf habe ich gesagt: "Moment, das ist ein Film von Rainer Erler", worauf die sagten: "Nein, nein, das ist ein Columbia-Film. Wir geben Ihnen die große Chance, Sie machen einen Columbia-Film. Wenn der gut läuft, geben wir Ihnen noch 'ne Chance, und wenn Sie fünf Filme für uns gemacht haben, die wirklich sehr gut gelaufen sind, dann leisten wir uns den Luxus und Sie dürfen einen Rainer Erler-Film drehen." Ich habe denen dann erklärt, daß ich nicht bereit sei, mich ihrem System anzupassen und bloßer Erfüllungsgehilfe zu sein. Schauen Sie, der Petersen war fünf Jahre in den USA und hatte nichts zu tun. In fünf Jahren habe ich schon wieder acht Filme gedreht. Ich erinnere mich noch sehr gut an ein Gespräch mit John Frankenheimer. Wir waren mal beide zusammen in der Jury beim Filmfest in Monte Carlo. Ich habe ihm von meiner Arbeit erzählt, er mir von seiner. Ich sagte damals zu ihm: "Naja, wir haben normalerweise 24, 27, höchstens mal 32 Drehtage und unser Team besteht aus 12 Leuten." Darauf meinte er: "Ich möchte bei euch einen Film drehen. Mein Team besteht aus mindestens 120 Leuten, meistens sind es sogar über 200 - die kenne ich gar nicht alle. Wenn ich eine Idee habe, dauert es anderthalb Tage, bis die Schienen liegen. Am Schluß bin ich ein halbes Jahr mit dem Film beschäftigt und habe völlig den Überblick über Stil und Tempo verloren." Ich denke, daß es letztlich eine richtige Entscheidung war, nicht nach Amerika zu gehen.

Wenn man sich die Stabangaben Ihrer Filme ansieht, dann fällt auf, daß Sie fast immer mit denselben Leuten zusammenarbeiten. Besteht nicht die Gefahr, daß man sich auf einen bestimmten Stil einschießt, wenn man immer dasselbe Team um sich schart?

Das stimmt, der Stil ist bekannt. Das vereinfacht vieles. Wenn ich mit Wolfgang Grasshoff (Kameramann - Anm. d. Verf.) drehe, dann brauche ich beispielsweise nur mit der flachen Hand auf meinen Bauchnabel zu zeigen und er weiß, daß die Darsteller in dieser Einstellung nur vom Kopf bis zum Nabel zu sehen sein sollen. Dieses blinde Verständnis spart enorm viel Zeit und Energie. Ich habe mal einen Werbespot gemacht, da hat der Kamermann eine halbe Ewigkeit gebraucht, bis das Licht endlich stand. Als er dann endlich fertig war, meinte er: "Dieses Licht ist eigentlich viel zu schön für einen Werbespot. Ich sollte mal mit Ihnen einen Film machen." "Kommt überhaupt nicht in Frage", habe ich da gesagt, "in der Zeit habe ich schon zwölf Einstellungen gedreht, bis Sie mit dem Licht für eine fertig sind. Das ist Masturbation, was Sie machen, das hat mit Film nichts zu tun." Da war er natürlich beleidigt. Was ich damit sagen will: Es macht Spaß, hin und wieder fremd zu gehen, weil man neue Impulse bekommt. Dennoch ist es sinnvoller, seine festen Partner zu haben.

Haben Sie jemals einen Film gesehen, bei dem Sie sich gedacht haben: "Donnerwetter, das Thema ist gut umgesetzt, den hätte ich auch gerne gemacht"?

Ja, solche Filme gibt's durchaus. Es gibt allerdings auch Filme, die ich gerne gemacht hätte und wo ich der Meinung bin, daß ich es sogar besser gekonnt hätte. Aber bei manchen Filmen sage ich wirklich voller Hochachtung: "Das hätte ich nicht geschafft" So ein Film war z.B. BANDITS. Ich bin echt begeistert von dem, was diese junge Regisseurin, die Katja von Garnier, da gemacht hat. Das ist entfesseltes Kino! Das finde ich fabelhaft. Da trennen uns eben Generationen.

Dieser Artikel erschien in Spookie Nr. 7, November 1997