ironisches superhirn
oder: Wie weit sind wir heute noch von einem Supercomputer wie HAL entfernt
"Kein Computer der Serie 9000 hat je einen Fehler gemacht." So stellt sich HAL vor, der Bordcomputer des Raumschiffs "Disvovery". Der Super-Rechner aus dem SF-Klassiker 2001 - ODYSSEE IM WELTRAUM ist vielleicht der berühmteste Schaltschrank des Genres. "Ich wurde am 12. Januar 1997 in Betrieb genommen", läßt der Autor Arthur C. Clarke sein futuristisches Superhirn sagen. Im Jahre 1968, als Stanley Kubricks Film und der Roman auf den Markt kamen, glaubten die Verfasser mit dem Datum eine realistische Wahl getroffen zu haben. Die ferne Zukunft hat sich nun eingestellt, doch wo ist Hal?
Kubrick gab sich alle Mühe, die ODYSSEE IM WELTRAUM realistisch zu inszenieren. Monatelang konsultierte er Universitätsgelehrte und NASA-Wissenschaftler. Marvin Minsky, einer der Pioniere der Forschungsrichtung "Künstliche Intelligenz" (KI), wäre in der Studiokulisse beinahe von einem herabfallenden Schraubenschlüssel erschlagen worden. Die Prognosen der Experten hätten falscher nicht sein können. Zwar ist Hals Funktionsprinzip nach wie vor topaktuell. Was er mit Hilfe "heuristischer Algorithmen" - daher die Abkürzung Hal - meistert, nämlich neben kühler Logik auch Gefühle zu simulieren, darum mühen sich Kl-Forscher bis heute. Menschliche Emotionen gelten ihnen als Schlüssel zu Intelligenzleistungen wie Kreativität und helfen offenbar dem Gehirn, seine Gedächtnisinhalte zu organisieren.
Dennoch erscheint ein Elektronendenker wie Hal nach 30 Jahren Forschung utopischer als zur Zeit der Dreharbeiten. Schon der Umgang mit Sprache, bei Hal eigentlich nur eine Bedienungserleichterung, erweist sich als hochkompliziert. Heutige Spracherkennungssysteme verstehen bestenfalls wenige, klar definierte Kommandos. Hal hingegen kann sogar ironisch sein. In einem jüngst erschienenen Buch ("Hal's Legacy". MIT Press) spüren KI-Forscher aller Couleur "Hals Vermächtnis" nach. Dabei muß Murray Campbell, Mitkonstrukteur des derzeit stärksten Schachcomputers "Deep Blue", eingestehen, daß es heutige Rechner nicht einmal im Schachspiel auf das Niveau von Hal brachten.
Donald Norman, eine Kapazität des modernen Computerdesigns, merkt andererseits an, wie hoffnungslos altmodisch sich das vermeintlich futuristische Gerät rein äußerlich gegenüber heutigen PCs ausnimmt. Von grafischen Benutzeroberflächen auf Hals Bildschirmen ist nichts zu sehen. Hier flackern nur endlose Zahlenreihen und roher Programmcode. Die Astronauten müssen sogar mit dem Notizblock die Runde machen, um Werte von irgendwo verstreuten Meßgeräten abzulesen. Eine Supermarktkasse ist fortschrittlicher.
Uneinigkeit herrscht unter den Gelehrten darüber, was Hal zum Amoklauf gegen seine menschlichen Herren brachte. Rosalind Picard vom MIT spekuliert, Systeme, die bei ihren Berechnungen auch Emotionen simulieren, müßten fast zwangsläufig auch Schwächen wie Hochmut oder Feigheit entwickeln. Sah sich der empfindsame Hal in einen unlösbaren psychischen Konflikt gestürzt, weil er den Auftrag hatte, sein "Lebensziel", den Erfolg der Mission, mit allen Mitteln zu erreichen? Dann, folgert der Philosoph Daniel Dennett, müsse man Hal verminderte Schuldfähigkeit für den Mord an der Besatzung zusprechen. Eine andere Deutung wird auf den zahlreichen Diskussionsforen im Internet favorisiert, wo Hals Äußerungen ebenfalls einer gründlichen Exegese unterzogen werden: Hat Hal in Wirklichkeit perfekt funktioniert? Weil er die Mannschaft als kritischen Faktor in der Durchführung seiner Mission erkannt hatte, habe er die Astronauten durch vorgetäuschte Fehler einem psychologischen Belastungstest unterzogen. Als die Männer unter Streß versagten und seine Funktion bedrohten, mußte er sie folgerichtig beseitigen. Allzubald wird es wohl keine Möglichkeit geben, derlei Thesen in der Praxis zu überprüfen. Die KI-Forschung hat die Arbeit an der denkenden Universalmaschine à la Hal erst mal auf Eis gelegt. Man übt sich in Bescheidenheit und freut sich, wenn etwa das automatische Entziffern von Nummernschildern oder das Sortieren von Paketen gelingt.
Auszug aus dem Artikel "Ironisches Superhirn", erschienen in "Der Spiegel" 52/1996, mit freundlicher Genehmigung des Spiegel-Verlags, Hamburg
Dieser Artikel erschien in Spookie Nr. 4, Februar 1997
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