Der Mann hinter der Maske
Stan Winston
von André Günther
Da blickt mich von dem Foto ein grauhaariger schlanker Mann mit einer kleinen Brille an und scheint sich darüber zu amüsieren, daß wieder mal einer seine Erfolgsstory zu Papier zu bringen versucht. Und er hat gut lachen, dieser Stan Winston, denn im Filmbusiness Hollywoods zählt er mittlerweile zu einem der erfahrensten, bestbezahlten und meistausgezeichneten Effektspezialisten. Wobei Winston sich selber eher als "character creator", denn als Effektspezialist sieht. "Wenn ein Film keine gute Story und gute Charaktere hat", so Winston unterstreichend, "nützen auch die besten und teuersten Spezialeffekte nichts. Deshalb sehe ich mich lieber als jemanden, der Charaktere entwirft, denn nur diese vermögen eine Handlung zu trugen." Die Spezialeffekte eines Filmes sind für ihn nur der Tortenguß. Weshalb seine Arbeitsphilosophie auch lautet, daß ein Effekt umso überzeugender ist, je unsichtbarer er ist. Was, daß muß ausgerechnet der Mann sagen, der den Predator, die Alien-Königin, den nahezu unverwundbaren Terminator oder den stampfenden T-Rex möglich gemacht hat? Denn vor allem diese Kreationen sind es, an die man bei dem Namen Stan Winston denkt und die einen über die Meisterschaft dieses Mannes staunen lassen.
Daß aber seine Arbeit auch die viel subtilere Kunst des Make-up und des fast unmerklichen Zusammenspiels mit moderner Computertechnik beinhaltet, weiß eigentlich kaum jemand. So wurde Winston nicht nur für seine technischen Effektarbeit an ALIENS, TERMIMATOR II und JURASSIC PARK mit dem Oscar ausgezeichnet, sondern auch für seine Make-up Kreationen für BATMAN RETURNS, EDWARD SCISSORHANDS und INTERVIEW WITH A VAMPIRE für einen Oscar nominiert. Als besonders komplex erwies sich dabei das Gesichts-Make-up für INTERVIEW, da die Haut der Darsteller durchscheinend, aber nicht geschminkt wirken sollte. Nach intensiven Probeaufnahmen und Tests kam man darauf, die natürlichen Adern der Schauspieler mit blauer Schminke nachzuziehen und leicht mit einem speziellen Puder abzudecken. Das hatte den Vorteil, daß bei echter Anstrengung der Schauspieler die aufgeschminkten Adern sich zu wölben schienen. Sein Meisterstück allerdings lieferte Winston mit der Sequenz in INTERVIEW, in der Lestat (Tom Cruise) von Claudia ermordet wird. Er fällt auf den Boden, Claudia schneidet ihm die Kehle durch und vor den Augen der Zuschauer schrumpelt Lestat zu einem vertrockneten Leichnam. Eine 15 Sekunden dauernde, scheinbar durchgehende Einstellung, die von Winston entwickelt, choreographiert und mit Hilfe der Mitarbeiter seiner Firma in Van Nuys, Kalifornien, und bei Digital Domain, welche er zusammen mit James Cameron gegründet hat, realisiert wurde. In Wirklichkeit besteht diese Aufnahme jedoch aus vierzehn verschiedenen Aufnahmen, die mittels überzeugender Puppenanimation und Computertechnik den Zuschauer fast vergessen läßt, daß hier ein Trick zu sehen ist. Wie Winston auf solche Ideen kommt?
"Zunächst einmal muß man seiner Phantasie freien Lauf lassen", so Winston, "und dann versucht man alles noch ein wenig besser, detaillierter und subtiler - eben realistischer zu machen, als die anderen." Und das ist es wohl auch, was seine Arbeit von der seiner Kollegen wie Rob Bottin oder Rick Baker unterscheidet, die zumeist leicht als Effekte zu entlarven sind (siehe z.B. TOTAL RECALL). Auch ist es für ihn nicht genug, die Effekte bei einem neuen Film so gut wie beim letzten zu machen, denn wenn es nach ihm geht, reicht es nicht aus, "etwas noch größer oder aufwendiger zu gestalten, es muß realistischer sein." Bei seinem Resümee fällt es leicht, diese Aussage auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen - auch wenn mal gelegentliche Rohrkrepierer wie THE ISLAND OF DR. MOREAU darunter sind, bei denen die Schauspieler sowieso nur froh sein konnten unter Winstons manchmal gar nicht so überzeugendem Make-up versteckt zu sein.
Der Mann scheint seine wahre Berufung gefunden zu haben, auch wenn seine Karrierevorstellungen zunächst in eine ganz andere Richtung gingen - nämlich zur Schauspielerei. Während er sich Ende der Sechziger nach seinem Studium des Schauspiels und der Kunst an der Universität von Virginia, als Schauspieler in Hollywood eine Existenz aufbauen wollte, schrieb er sich bei einem Lehrgang für Make-up Kunst ein und brachte währenddessen auch eigene Entwürfe zu Papier.
Die Disney Studios wurden auf ihn aufmerksam und warben Winston für ihre Maskenbildner-Abteilung an, von der Winston schwärmt: "Ein Paradies für Leute, die gerne experimentierten." Seine skurillen Masken und Make-ups brachten ihm einige Jobs beim Fernsehen ein, wo er auch 1972 einen Emmy für den Fernsehfilm GARGOYLES gewann. Zwei Jahre später folgte zusammen mit Rick Baker der nächste Emmy für THE AUTOBIOGRAPHY OF MISS JANE PITTMAN. Insgesamt wurde Stan Winston fünfmal für den Emmy nominiert und legte 1975 mit dem Film THE WIZ (dieses Michael Jackson-Desaster) sein Kinodebut vor. Aus der ersten Zusammenarheit mit James Cameron bei TERMINATOR resultiert deren enge Freundschaft und einige der besten und aufregendsten Science-Fiction Filme der letzten Jahre: TERMINATOR I+II und ALIENS. Bei diesen Filmen fungierte Winston auch als Regisseur des zweiten Teams, was ihn dazu veranlaßte auch zwei Filme in Eigenregie zu drehen. Bei PUMPKINHEAD fertigte er die Entwürfe der Halloween-Kreatur selbst an, überließ die Ausführung der Effekte aber seinen Kollegen. Das Resultat ist ein dreckiger kleiner Horrorfilm, der zwar fest in den Genrcklischees steckt, aber durchaus zu erschrecken weiß. Immerhin hat es auch noch für eine Direct-to-Video- Fortsetzung gelangt, an der Winston glücklicherweise nicht beteiligt war.
Sein zweiter Ausflug als Regisseur mit UNDERWORLD (oder A GNOME CALLED GNORME) konnte allerdings nur wenig überzeugen. Eine zu dünne Handlung wird mit wenig überzeugenden Puppentricks à la Jim Henson aufgepeppt. Nach dieser für ihn eher ernüchternden Erfahrung konstatiert Winston denn auch: "Ich wollte einmal diese Erfahrung machen, und es hat auch Spaß gemacht, aber meine Stärken liegen woanders." Wohl wahr, wenn man sich zum Beispiel den stampfen T-Rex in JURASSIC PARK oder die gefährlichen Velociraptoren ansieht (Nein, nicht die Szene als Tierpfleger Muldoon von einem Typen in Saurierkostüm angefallen wird). Winstons letztes Projekt, der in einem Museum spielende Horrorthriller THE RELIC, wird in den USA im Frühjahr anlaufen - aber dann hat Winston schon längst wieder alle Hände voll zu tun. Ein Mann der in seinem Beruf aufgeht, sich wenig im Filmrummel Hollywoods zeigt und am glücklichsten ist, wenn seine Arbeit nur den wenigsten auffällt - denn dann hat er geschafft, subtiler und realistischer zu sein als seine Kollegen.
Dieser Artikel erschien in Spookie Nr. 4, Februar 1997
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