Intro Nr. 4

Wieder mal...

...steht ein Editorial an, wieder mal stehe ich unter Zeitdruck, wieder mal brennt mir kein einziges Thema unter den Nägeln, über das ich an dieser Stelle etwas loswerden könnte. Desinteresse und Lethargie scheinen zunehmend zu einer Charaktereigenschaft von mir zu werden. Beruhigend zu wissen, daß es anderen auch so geht. Beunruhigend zu wissen, daß es offenbar immer mehr Leuten so geht.

Wenn diese Ausgabe in den Verkauf geht, dauert es nur noch wenige Tage bis es heißt: MARS ATTACKS!. Zwar gibt es auf dem Mars kein nennenswertes Leben, womit die Prämisse von Tim Burtons "sozialkritischer" (O-Ton Warner Bros.) Invasionssaga augenblicklich ad absurdum geführt wird, doch in Hollywood kennt man ja bekanntlich genügend Mittel und Wege, um der bisweilen sehr unzulänglichen Wirklichkeit auf die Sprünge zu hellen. Als probates Mittel der unterhaltsamen Realitätsverzerrung galt lange Zeil die Stop Motion-Animation, mit deren Hilfe vom Lindwurm über UFOs bis hin zum futuristischen Schachspiel praktisch alles auf die Leinwand gezaubert werden konnte - wenn's auch nicht immer überzeugend aussah.

Spätestens seit den furiosen Computereffekten von TERMINATOR 2 gilt die Stop Motion-Kunst jedoch als hoffnungslos antiquiert; selbst ein Tim Burton, der sich in der Vergangenheit noch des öfteren dieses altmodischen Trickverfahrens bediente, hetzt in MARS ATTACKS! computergenerierte Aliens auf seine menschlichen Protagonisten - und wird dabei, ohne es vielleicht zu ahnen, zum fiesen Ausbeuter. Zufällig bin ich vor kurzem über einen "Spiegel"-Artikel gestolpert, in dem eine Psychologin, die sich mit den Auswirkungen des Computers auf unsere Gesellschaft beschäftigt, freimütig bekennt, heutzutage ihrer Reinemachefrau per e-mail alle nötigen Anweisungen zu geben. Ihr scheinbar unpersönliches Vorgehen begründet sie sinngemäß mit: "Warum sollte ein elektronischer Mitteilungszettel eigentlich weniger real (und mithin persönlich) sein als irgendein Zettel, den ich auf den Tisch lege?" Eine interessante Frage, impliziert sie doch, daß, wenn man bereit ist, auch Dinge, die man nicht anfassen kann, als real anzusehen, die Marsianer aus MARS ATTACKS! tatsächlich existieren. Das regt zu Gedankenspielen an. Was, wenn sie ein Bewußtsein haben und sich von Tim Burton als billige Arbeitskräfte ausgenutzt fühlen? Was, wenn sie sich beleidigt fühlen, weil Tim Burton und der Rest der Menschheit noch nicht mal in der Lage sind zu erkennen, daß sie mehr sind als nur eine Ansammlung von Pixeln auf der Leinwand? Was, wenn sie womöglich gerade jetzt einen Weg gefunden haben, um vom Cyberspace in unsere Welt hinüberzuwechseln?

Dieser Artikel erschien in Spookie Nr. 4, Februar 1997