Tobe Hooper

Rhapsodie in Blut:

Die Tobe Hooper Story, Teil 1

von Harald Dolezal

Flash! Ein Blitzlicht dringt in die Schwärze der Nacht vor. Eine Leiche wird sichtbar und verschwindet wieder im Dunkeln, in regelmäßigen Abständen erhellen die Blitze der für uns unsichtbaren Kamera eine Szenerie, die an Perversion kaum noch zu überbieten ist. Immer erschreckendere Details einer bizarren Grabschändung werden erkennbar. Als abartigen Höhepunkt zeigt man uns mehrere mumifizierte Leichen, die auf ihren Grabsteinen sitzen. Überblendung. Ein totes Gürteltier liegt am Rande eines Highways.

So beginnt der intensivste Horrorfilm der 70er Jahre. Außer DAWN OFTHE DEAD hat kein anderer Genrefilm aus diesem Jahrzehnt den Splatterfilm mehr beeinflußt, und das, ohne auch nur eine einzige Blutspritz-Szene in Nahaufnahme zu bringen. Der Film: THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE. Der Regisseur: Kein Geringerer als Meister Tobe Hooper himself.

Mehrere mumifizierte Leichen sitzen auf ihren Grabsteinen

Wir werden uns nun einem der Urgroßväter des modernen Horror- und SF-Films zuwenden. Tobe Hooper, ein Name, der Kennern des Phantastischen Films das Blut in den Adern stocken läßt. Ich werde euch nun hart, aber herzlich über Aufstieg und Fall eines meiner Lieblingsregisseure berichten. Tobe Hooper wurde 1946 in Austin, Texas, geboren. Papa Hooper leitete ein eigenes Filmtheater; für den Sohnemann war es also ein leichtes, sich bereits im zartesten Kindesalter mit Filmen wie THE TEN COMMANDMENTS, FORBIDDEN PLANET, REVENGE OF FRANKENSTEIN und HORROR OF DRACULA (Orig. UK-Titel: DRACULA) zu beschäftigen. Mit neun oder zehn Jahren bekam Tobe seine erste Schmalfilmkamera. Etwas später begann er bereits mit 16 mm zu experimentieren und erste Filme zu bearbeiten. Beendet hat er diese aber nie. Obwohl ihm hilfreiche Connections fehlten, gelang es ihm, im professionellen Filmbetrieb Fuß zu fassen und erste größere Regie-Aufträge für Werbespots und Lehrfilme an Land zu ziehen. Ende der 60er Jahre investierte Hooper seine Ersparnisse in einen Kurzfilm mit dem Titel THE HEISTERS, eine Komödie. Es folgte ein größeres Projekt, eine Dokumentation über die Folk-Pop-Band "Peter, Paul & Mary" (würg!).

An Erfahrung reicher wagte er sich nun an seinen ersten Spielfilm EGGSHELLS, ein psychedelisches Werk über die Friedensdemonstrationen und den Vietnam-Krieg in den hippigen Sixties. Die Dreharbeiten zur ultimativen Gewaltorgie, auch als THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE bekannt, begannen am 15. Juli 1973 und dauerten rund einen Monat. Im Jahr darauf terrorisierte das BLUTGERICHT IN TEXAS (dt. Kinotitel) die amerikanischen Hinterwäldler in ihren ländlichen Kleinstadtkinos, und schon 1975 wurde dieser Meilenstein der Horror-Kinematographie von unzähligen Anhängern zum Kultfilm erklärt.

TCM wird zum großen Festivalrenner

Hooper wäre heute vermutlich ein gemachter Mann, wäre er damals auf seiner Suche nach einem Verleih für TCM nicht an die zwielichtige Firma Bryanston Pictures geraten. Für 225 000 Dollar und eine Beteiligung von 35% an den Kinoeinnahmen kauften Bryanston Pictures ihm den Film ab. Ein lukrativer Deal - wenn auch nur auf dem Papier, denn nachdem Hoopers Film erfolgreich in -zig Länder verkauft worden war - Gerüchten zufolge soll Bryanston Pictures insgesamt 20 Mio. Dollar kassiert haben - löste sich die Firma plötzlich in Luft auf. Etwas entschädigt wurde der gefoppte Hooper für seinen finanziellen Verlust durch den Erfolg, den TCM 1975 und '76 auf den Filmfestivals in Cannes, Avoriaz und Antwerpen hatte. Auf den beiden letztgenannten Veranstaltungen holte sein Film sogar zwei Preise, zum einen den Spezialpreis der Jury in Avoriaz, zum anderen den Großen Preis in Antwerpen. Zudem nahm das Museum Of Modern Art in New York THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE in seine Sammlung auf.

Die Handlung dieses all time favorites muß ich wohl kaum ausführlich beschreiben: Vier junge Leute kommen in einem Bus in eine abgelegene Gegend, um Urlaub zu machen. Dort erleben sie diverse abartige Abenteuer, bevor sie von einer Familie von Wahnsinnigen massakriert werden. Die Geschichte des KETTENSÄGENMASSAKERS (dt. Videotitel) ist nicht frei erfunden, sondern beruht auf den Greueltaten des amerikanischen Farmers Ed Gein, der in den 50er Jahren als Massenmörder und Grabräuber im US-Staat Wisconsin Kriminalgeschichte schrieb. Gein, der seine Mutter abgöttisch verehrte, hatte zeitlebens ein gestörtes Verhältnis zu Frauen. Als seine Mutter und sein Bruder im selben Jahr verstarben, wurde er zum psychotischen Einzelgänger. Er begann damit, Leichen auszugraben, ihnen die Haut abzuziehen und sich selbst überzustreifen. 1954 erschoß er sein erstes Opfer, eine 51 Jahre alte Frau. 1957 mußte sein letztes Opfer dran glauben. Die Gein-Farm in Plainfield, Wisconsin, wurde von Einheimischen abgebrannt. Auf diesen Vorfällen basieren auch noch andere Drehbücher. Altmeister Alfred Hitchcock war der erste, der sich dieser True Crime Story annahm. Für sein Meisterwerk PSYCHO (1960) hatte er aber, genauso wie Hooper für TCM, nur einige makabere Details von damals übernommen. Etwas getreuer nahmen sich THREE ON A MEATHOOK (1973) und vor allem DERANGED (1974) des Themas an.

Mit Sense, Colt & Alligator

Tobe Hooper blieb dem Horrorfilm nach TCM auch weiterhin treu. 1976 folgte ein weiteres Gore-Opus, das allerdings nicht die Intensität des Vorgängers erreicht. Das liegt wohl auch daran, daß die Produzenten Hooper noch vor Ende der Dreharbeiten ihr Vertrauen entzogen und einen anderen Regisseur den Film fertigstellen ließen. Neville Brand ist Judd, ein geisteskranker Hotelbesitzer, der jeden killt, der sein Hotel in Louisiana besucht. Meistens verwendet er dazu eine Sense, manchmal auch einen Alligatoren, der ihm am Ende (natürlich) selber zum Verhängnis wird. "Guten Appetit", kann man da nur wünschen. Mit von der Partie sind einige abgehalfterte Hollywoodveteranen wie Mel Ferrer und Stuart Whitman. Desweiteren sind zu sehen: Marilyn Burns (aus TCM) und Robert Englund (der Alptraum jedes amerikanischen Teenagers).

EATEN ALIVE, so der Titel des Films, basiert erneut auf einer wahren Begebenheit. Joe Ball, ein texanischer Alligatoren-Züchter und Besitzer des "Socialle Inn" (nahe Elmendorf, Texas) hatte die Eigenart, seine Freundinnen jedesmal zu erschießen, sobald er ihrer überdrüssig wurde, und sie anschließend an seine vierbeinigen Lieblinge zu verfüttern. Nachdem sich die Polizei bei ihm einfand, nahm er emotionslos seinen Revolver und blies sich das Hirn aus dem Schädel. Seine fünf Alligatoren wanderten in den San Antonio Zoo. Weitere amerikanische Verleihtitel von EATEN ALIVE: DEATHTRAP, STARLIGHT SLAUGHTER, HORROR HOTEL MASSACRE und LEGEND OF THE BAYOU.

Nach einer fast dreijährigen Pause erhielt Tobe Hooper 1979 von Warner Bros, den Auftrag, einen vierstündigen Fernsehfilm nach dem überaus erfolgreichen Roman "Salem's Lot" von Stephen King zu inszenieren. Hooper übernahm den Film von William Friedkin (DER EXORZIST), der ursprünglich als Regisseur und Produzent für SALEM'S LOT vorgesehen war, das Projekt aber nicht in den Griff bekam. SALEM'S LOT entstand für vier Millionen Dollar in nur 37 Drehtagen. Trotz des niedrigen Budgets und der kurzen Drehzeit lag laut Hooper die eigentliche Schwierigkeit bei der Arbeit an SALEM'S LOT darin, den visuellen Auflagen der "Network Standards and Practices Guidelines" zu entsprechen, einem Regelwerk, das genau festlegt, was im amerikanischen Fernsehen gezeigt werden darf und was nicht. "'Standards and Practices' schickten uns eine ganze Liste mit Vorschriften", so Hooper. "Im Fernsehen darf man z.B. keine Leiche mit geöffneten Augen zeigen. Dafür habe ich überhaupt keine Erklärung. Und als Fred Willard (Larry Crockett) den Lauf der Schrotflinte in den Mund nehmen sollte - nun, für die europäische Version konnten wir das drehen, aber 'Standards and Practices' sagten nein, auf keinen Fall dürfe ich das im Fernsehen zeigen. Schließlich stimmten sie einem Kompromiß zu: Fred durfte sich den Flintenlauf in zwölf Zoll Entfernung vors Gesicht halten. Es durften aber nicht sechs oder acht Zoll, es mußten genau zwölf sein."

SALEM'S LOT hat seine Längen, ist allerdings für einen TV-Zweiteiler durchaus ansehbar. Ein Schriftsteller (David Soul) und sein jüngerer Partner jagen in einem verschlafenen Nest den Nosferatu-ähnlichen Vampir Barlow (gespielt von dem "all time favorite villain" Reggie Nalder) und dessen Gehilfen (James Mason). SALEM'S LOT war bis vor kurzem nur in einer zusammengeschnittenen Version in deutsch auf Video erhältlich. In dieser gekürzten Fassung waren dafür einige deftige Sequenzen zu sehen, die extra für den europäischen Markt gedreht worden waren und die in den Staaten bei der Ausstrahlung regelmäßig fehlten. Die mehr als doppelt so lange Originalfassung wurde hierzulande erst vor etwa anderthalb Jahren im Mitternachtsprogramm als DER SCHRECKEN IM MARSTEN HAUS gezeigt.

Todeskampf in der Geisterbahn

1980 drehte Hooper erneut einen Gruselfilm. THE FUNHOUSE beginnt ganz harmlos. Vier Teenager besuchen einen Rummelplatz, um sich dort hemmungslos zu vergnügen. Bald jedoch bleibt ihnen das Lachen im Halse stecken, müssen sie doch im Gruselkabinett unverhofft mitansehen, wie der mißgestaltete Sohn des Kabinettbesitzers eine Wahrsagerin ermordet. Zu allem Überfluß werden sie auch noch entdeckt und einer nach dem anderen muß sein Leben lassen. Nur der jungen Amy gelingt die Flucht aus dem KABINETT DES SCHRECKENS (dt. Titel). Die 08/15-Handlung bietet absolut nichts neues. Selbst ein Routinier wie Tobe Hooper konnte aus der müden Geschichte nicht mehr als einen durchschnittlichen Horrorfilm machen, der nur phasenweise fasziniert Einzig die Make Up-Effekte von Rick Baker (INCREDIBLE MELTING MAN) überzeugen auf der ganzen Linie. THE FUNHOUSE war der bisher letzte Low Budget-Film, den uns Hooper bescherte. In den 80er und 90er Jahren warteten größere Aufgaben auf den Meister des Schreckens.

Man glaubt es kaum, doch Steven Spielberg (der Liebling aller Kinder) ist ein großer Bewunderer von THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE. Spielberg trat in den frühen 80er Jahren nicht nur als Regisseur, sondern auch als Produzent einer Reihe sehenswerter Produktionen auf. 1980 traf er sich mit Hooper, um mit ihm ein gemeinsames Projekt auf die Beine zu stellen. Spielberg wollte eine Art Fortsetzung von CLOSE ENCOUNTERS OF THE THIRD KIND, Hooper hingegen reizte das Phänomen der Poltergeister. Schon seit 1975 wollte er über dieses Thema einen Film machen. Wie wir mittlerweile wissen, konnte sich Hooper durchsetzen und mit Spielberg als Produzent seinen Megahit POLTERGEIST drehen. Streitereien zwischen den beiden gab es während der Dreharbeiten kaum. Später ärgerte sich Hooper jedoch darüber, daß POLTERGEIST von den Kritikern als Spielberg-Film und nicht als Tobe Hooper-Film angesehen wurde. (Was wohl keine Überraschung ist, denn der Film sieht ja tatsächlich mehr nach Spielberg aus, und wenn man liest, daß Spielberg fast täglich am POLTERGEIST-Set aufgetaucht sein soll und er den Film nur deswegen nicht selbst inszenierte, weil er gleichzeitig E.T. in der Mache hatte, dann liegt die Vermutung nahe, daß Hooper in Wahrheit kaum mehr als Spielbergs Erfüllungsgehilfe war - Anm. von Markus Janda)

Zwei weitere Teile von POLTERGEIST terrorisierten später die Kinoleinwände. Beide Nachfolger entstanden ohne Tobe Hoopers Mitwirkung und sind peinliche, einfallslose Gespensterfilme, die nur vom Ruhm des Original-POLTERGEIST zehren. Angeblich liegt auf dem POLTERGEIST-Team ein Fluch. Die halbe Star-Besetzung aus dem ersten Film hat unter mysteriösen Umständen das Zeitliche gesegnet. Tobe Hooper schaffte es bislang, dem Fluch zu entkommen, und uns noch einige verflucht gute Streifen vorzusetzen. (Teil 2 im nächsten Heft)

Dieser Artikel erschien in Spookie Nr. 6, August 1997