Alain Robak

"Ich mag keine Big-Budget-Filme"

Interview mit dem französischen Regisseur Alain Robak

Das Interview führte Ivo Scheloske

Alain Robak ist weder in Frankreich, wo er 1954 geboren wurde, noch im Ausland dem gemeinen Kinogänger ein Begriff. Das mag sicherlich daran liegen, daß sein bisher einziger (verbreiteter) Spielfilm BABY BLOOD unverdienterweise unterging und seine Kurzfilme, der geniale CORRIDOR und SADO ET MASO SONT DANS SA BATEAU, in den Kompilationen ADRENALINE (bei uns leider nie veröffentlicht) respektive PARANO versteckt sind.

Dementsprechend schwer war es für uns, ihn ausfindig zu machen. Zum Glück halfen uns die Kollegen der französischen Zeitung "Mad Movies" weiter, so daß wir an einem heißen Samstagnachmittag endlich vor seinem Haus in Romainville, einem Vorort von Paris, standen. Sehr erstaunt darüber, daß wir ein Interview mit ihm führen wollten, outete sich der gelernte Telekommunikationstechniker sehr schnell als Genre-Fan, speziell was Godzilla, Twin Peaks und Home-Made-Movies angeht.

 

Erzählen Sie uns doch etwas über Ihre Anfänge als Filmemacher. Wie sind Sie ins Filmbusiness gestartet?

Als ich das erste Mal einen Film drehen wollte, habe ich mir einen Job gesucht und mit dem verdienten Geld habe ich den Film dann gemacht. Einen Kurzfilm. Ich war nie auf einer Filmschule, habe auch nie als Assistent gearbeitet.

Welche Filme haben Sie außer BABY BLOOD bisher gedreht?

Mehrere Kurzfilme. U.a. VOIX D'AU (Stimme des Wassers) über einen Mann, der in seiner Badewanne sitzt und unter Wasser Geräusche und Stimmen hört, die aus der Kanalisation kommen. Dann einen kleinen Thriller, TUEUR MAISON. Danach drehte ich CORRIDOR und SADO ET MASO SONT DANS SA BATEAU, was übersetzt soviel heißt wie "Sado und Maso sitzen in einem Boot". Der Titel ergibt aber nur im Französischen einen Sinn.

Ihr erster Spielfilm war IRENE AND THE SHADOWS. Was war das für ein Film?

Das war ein Thriller. Aber so kompliziert, daß ich ihn selber nicht mehr verstanden habe.

Wie erhielten Sie die Chance BABY BLOOD zu drehen?

BABY BLOOD ist mein zweiter Spielfilm und eigentlich wollte ich den billigsten Film der Welt drehen. Ich traf einen Produzenten und erzählte ihm, daß ich einen Film drehen will, mit nur EINER Hauptperson. Eine Frau... und in ihr... irgendetwas. Es würde sehr billig sein, einen derartigen Film zu machen. Und er meinte: "OK, schreib' die Story, dann sehen wir weiter." Ich schrieb also die Geschichte und am Anfang war auch alles noch sehr billig. Aber je mehr ich schrieb, umso teurer wurde es. Im Endeffekt war es zwar kein teurer Film, aber es war auch nicht mehr der billigste Film der Welt.

Welche Rolle spielt BABY BLOOD in Ihrer Karriere?

Das ist eine schwierige Frage, denn der Film hatte für mich positive und negative Auswirkungen. Das gute an ihm ist, daß jetzt, sechs Jahre nach seiner Entstehung, viele Leute meinen Namen kennen. Andererseits wurde es für mich nach BABY BLOOD sehr schwierig, in Frankreich Arbeit zu finden. Die Leute hier mögen keine Gore-Filme. Sie machen lieber ernsthafte Filme.

War BABY BLOOD außerhalb Frankreichs erfolgreich?

Ja. In den USA z.B. wurde der Film synchronisiert und meine Stimme - ich spreche das Monster in der französischen Fassung - wird in der englischen Version von Gary Oldman synchronisiert. Darauf bin ich sehr stolz. Der Film wurde schon in der ganzen Welt gezeigt, in Australien, in den USA, auch in Rußland - in Moskau und in Leningrad.

Gibt es einen Filmemacher, der Sie beeinflußt hat?

Es gibt einen japanischen Regisseur, Ichikawa Kon, der mich sehr beeinflußt hat als ich jünger war. Kon ist übrigens sein Vorname. Er drehte zwei Filme zwischen 1959 und I960. THE HARB OF BURMA und FIRE IN THE PLANE. Letzterer ist ein Kriegsfilm. Es geht um einen Japaner, der ein bißchen durchgeknallt ist. Deshalb soll er in ein Krankenhaus. Doch das wurde von den Amerikanern niedergebrannt. Am Ende muß er sich durch den Dschungel kämpfen und ist dazu gezwungen, Leute zu töten und zu essen, um zu überleben. Ich war damals 10 Jahre alt und hatte ein halbes Jahr lang Alpträume. Ich habe diesen Film seitdem sechs oder sieben Mal gesehen und er ist für mich einer der besten Filme, die es gibt.

In drei von Ihren Filmen spielt Jean-Francois Gallotte mit. Ist er einer Ihrer Lieblingsschauspieler? Wie haben Sie sich kennengelernt?

Jean-Francois Gallotte ist zuallererst einmal ein Freund. Wir kennen uns jetzt seit fast 15 Jahren. Das erste Mal traf ich ihn in Paris. Ich suchte einen Job als Storyboard-Zeichner. Er kam zu mir und wollte ein Storyboard von mir für seinen eigenen Film. Er ist ebenfalls Regisseur. Ich nahm den Auftrag an und verbrachte viel Zeit damit, das Storyboard zu erstellen. Als er dann den Film drehte, hat er es kein einziges Mal benutzt. Er ist ein total lustiger Typ. Ich entschied mich dafür, ihm eine kleine Rolle in IRENE AND THE SHADOWS zu geben und er war so toll, daß ich ihn bisher in allen weiteren Filmen eingesetzt habe.

Hatten Sie Probleme mit der Zensur in Frankreich?

Ja, die hatte ich. Jeder glaubt, in Frankreich gebe es keine Zensur. Ich denke, daß ist nicht ganz richtig. Als BABY BLOOD 1990 in Frankreich erschien, bekam er eine Freigabe ab 18 Jahren. Ein ähnlicher Film aus Amerika, der zeitgleich veröffentlicht wurde, bekam eine Freigabe ab 13 Jahren. Es wurde also unterschieden zwischen einem amerikanischen Film und einem französischen Film. Die Franzosen denken, sie dürften keine Splatter-Filme drehen. Italiener dürfen das, Amerikaner oder auch Mexikaner, aber nicht die Franzosen. Und wenn es doch einer macht, dann ist das schlecht. Es gibt eine Menge Programmkinos in Frankreich, aber keines wollte meinen Film zeigen. Er war eben nicht gut genug für sie. Die Franzosen bezeichnen sich gerne als edel. Und zu diesem Zeitpunkt war ich das nicht in ihren Augen.

Also ist die derzeitige Situation für französische Regisseure alles andere als rosig?

Genau. Das größte Problem besteht momentan darin, daß ein Großteil des Geldes für eine Filmproduktion von den Fernsehanstalten kommt. Vor einigen Monaten gab es eine Diskussion darüber, daß im Fernsehen weniger Gewalt gezeigt werden sollte. Man wollte Dokumentarfilme haben, oder eben Familienunterhaltung. Wenn du heute einen Film drehen willst, dann muß er familienorientiert sein. Mit Sex-Filmen oder gewalttätigen Filmen hast du keine Chance. Sie wollen alle Unterhaltung für die ganze Familie, Komödien. Ich mag Komödien, aber alle wollen nur das. Vor 30 Jahren war das französische Kino das beste der Welt. Es gab eine große Bandbreite an Filmen. Aber heutzutage hast du nur noch Komödien oder intellektuelles Kino. Wie im Fernsehen.

Stichwort Komödie: Ihre Filme sind voll von schwarzem Humor. Ist das Ihr Stil, Filme zu machen? Schauen Sie sich gerne solche Filme an?

Ja, aber richtige Komödien. Ich meine, BABY BLOOD war eine Komödie, aber keine richtige. Ich hatte ihn als Horrorfilm geplant. Aber während der Dreharbeiten wurde er langsam zu einer Komödie. Als ich SADO ET MASO... drehte, wollte ich eine Komödie machen. Und ich mußte feststellen, daß es das schwierigste Genre überhaupt ist. Es ist ungeheuer schwierig, das Publikum zum Lachen zu bringen. Wenn der Bildausschnitt nicht stimmt oder wenn der Schauspieler nicht SEHR gut ist - zack! - schon bleiben die Leute still. Und ich wollte sie unbedingt zum Lachen bringen. Wenn du dann ins Kino gehst und sie lachen tatsächlich alle, ist das absolut großartig.

Schauen Sie sich denn auch gerne Komödien an?

Eigentlich sehe ich alle Genres gerne. Thriller mag ich vielleicht am liebsten. Auch Horrorfilme. Aber heutzutage ist es sehr schwierig, einen guten Horrorfilm zu finden. Alle, die ich in letzter Zeit gesehen habe, waren irgendwie gleich. Früher mochte ich Horror-Filme sehr, aber heute... Ich mag Filme, bei denen man noch den Stil des Regisseurs erkennen kann. Deshalb kann ich auch diese großen, amerikanischen Big-Budget-Produktionen nicht leiden. Man erkennt die Handschrift des Regisseurs nicht mehr. Ich mag es, wenn in Filmen irgendwas Verrücktes, Außergewöhnliches passiert. Aber in diesen Großproduktionen fehlt der Stil. Du könntest die Regisseure nach Belieben austauschen, die sind doch alle gleich.

Wie sehen Ihre künftigen Aktivitäten aus? Sind schon neue Projekte geplant?

Ich würde gerne einen Film drehen - wieder so ein schwieriges Thema - über einen Mann, der nach einem Unfall durch einen Fehler in das Totenreich kommt. Aber er ist noch am Leben. Und er denkt sich: Oh, wenn ich schon mal hier bin, dann bringe ich Elvis zurück auf die Erde. Er trifft auch auf einen Engel. Ein Mädchen. Ich weiß, Engel haben eigentlich kein Geschlecht. Aber bei mir schon. Somit gibt es eine Liebesgeschichte zwischen dem Mann und dem Engel. Zusammen wollen Sie Elvis zurückbringen, aber das ist sehr schwierig.

Wird Jean-Francois Gallotte den Mann spielen?

Nein, den Part wird Smain spielen. Kennen Sie Smain? Er spielt den Pizza-Kurierfahrer in einer Episode in PARANO, wo auch SADO ET MASO... enthalten ist. Jean-Francois Gallotte wird einen Friseur spielen. Einen Engel. Einen Engel, der Haare schneidet.

 

BABY BLOOD: Die Filmstory

Eine bizarre Lebensform gelangt mit einem Tiertransport aus Afrika zu einem franösischen Wanderzirkus, wo sie in einer Vollmondnacht in den Unterleib der jungen Zirkusassisterrtin Yanka schlüpft, um dort zu einer blutgierigen Bestie heranzureifen. Noch ungeboren übernimmt der fremde Organismus die Kontrolle über Yanka, die fortan jeden umbringt, der ihren Weg kreuzt. Nachdem Yanka eine Hebamme ermordet hat, kommt sie schließlich auf einer Landstraße nieder und bringt ein blaßes Menschenkind zur Welt. Doch der Schein trügt - das Baby verwandelt sich in ein grauenhaftes Ungeheuer und sucht sich weitere Opfer. In einem Bus kommt es zum Finale: Yanka versucht mit einer verzweifelten Amokfahrt das Monster zu töten...

Dieser Artikel erschien in Spookie Nr. 6, August 1997